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Marc Lichte: „Ästhetik erwächst aus Effizienz“
22.01.2021
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Interview mit dem Audi-Designchef vor der Präsentation des e-tron GT
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Vorreiter für das Design zukünftiger Elektro-Modelle
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Weltpremiere des vollelektrischen Gran Turismo am 9. Februar
"Das schönste Auto, das ich jemals gezeichnet habe." Diese Worte hat Audi-Chefdesigner Marc Lichte gewählt, als die Marke im Herbst 2018 den Audi e-tron GT concept als Showcar in Los Angeles präsentierte. Zwei Jahre später steht der erste vollelektrische Gran Turismo von Audi nun kurz vor seiner Premiere als Serienmodell. Genau der richtige Zeitpunkt, um mit Marc Lichte über die Bedeutung des e-tron GT zu sprechen.
Frage: Herr Lichte, bald hat das Warten ein Ende. Am 9. Februar stellt Audi den e-tron GT vor. Ist die Präsentation eines solchen Modells auch nach sieben Jahren als Designchef der Marke immer noch aufregend?
Marc Lichte: Die Weltpremiere ist ein magischer Moment. Das gilt für das gesamte Team bei Audi Design wie auch für mich persönlich. Mit der Vorstellung eines neuen Autos endet ein Entwicklungsprozess, der in der Regel vier Jahre dauert. Ein langer Weg mit einer Menge Arbeit, vielen Diskussionen und teils schwierigen Entscheidungen. Am Ende steht aber ein gemeinsames Ergebnis, auf das wir alle stolz sind.
Stolz ist das richtige Stichwort. Mit ihrer Bewertung des Showcars haben
Sie die Messlatte für den e-tron GT denkbar hoch
gelegt. Was zeichnet das Auto in seiner Gestaltung
aus?
Lichte: Gutes Design entsteht dann, wenn ein
Produkt ästhetisch ist und gleichzeitig funktional, wenn es Teil eines nahtlosen
Gesamterlebnisses wird. Die Grundlage für Ästhetik liegt dabei in den Proportionen:
kurze Überhänge und ein langer Radstand, dazu eine schlanke Kabine auf einem
kräftigen Körper. All das vereint der e-tron GT in sich.
Wäre es also vermessen, dieses Auto als neue Design-Ikone von Audi zu
bezeichnen?
Lichte: Ja, ohne Zweifel. Eine
Design-Ikone lässt sich schließlich nicht am Reißbrett kreieren. Diesen Ruf muss
sich ein Auto auf der Straße erwerben - in einem Umfeld, das aufgrund der
Reizüberflutung nach Orientierung strebt. Echte Design-Ikonen haben deshalb etwas
unverkennbar Klares: Drei Linien reichen zum Beispiel aus, um einen VW Käfer zu
charakterisieren oder einen Porsche 911. Sie stehen für eine ganz klare Haltung.
Und welche Haltung will Audi mit dem e-tron
GT vermitteln?
Lichte: Ganz eindeutig ist
das "Vorsprung durch Technik" - oder um unsere neue Markenstrategie zu zitieren:
"Living Progress". In unserer Historie haben bestimmte Modelle diesen Anspruch
besonders geprägt: Der A2 stand für gnadenlose Effizienz, der TT für
formalistisches Design, der R8 für kompromisslose Performance. Die Frage beim
e-tron GT ist also nicht, ob er eine Design-Ikone ist, sondern wie genau er unsere
Haltung zum Ausdruck bringt. Sprich: wie er "Vorsprung durch Technik" neu
interpretiert.
Welche Richtung schlagen Sie hier ein?
Lichte: Der e-tron GT ist ein Gran Turismo. Ursprünglich stand dieser Begriff für
Sortwagen, die für Langstreckenrennen geeignet waren. GT-Modelle unterscheiden
sich demnach von reinen Sportwagen durch mehr Komfort und einen größeren Innenraum.
Als vollelektrischer Gran Turismo interpretiert der e-tron GT diesen Spagat neu,
indem er Performance nicht auf die schiere Leistung reduziert, sondern auch der
Effizienz eine besondere gestalterische Bedeutung beimisst.
Effizienz als Grundgedanke für das Design. Was heißt das
konkret?
Lichte: Je geringer der Luftwiderstand,
desto größer die Reichweite: Dieses physikalische Grundgesetz der Elektromobilität
haben wir beim e-tron GT zum Gestaltungsprinzip gemacht. Die Form folgt der
Funktion, Ästhetik erwächst aus Effizienz. Die neue Formensprache sorgt für einen
stärkeren Fluss und ermöglicht dadurch eine ausgefeilte Aerodynamik. Damit bildet
die Gestaltung des e-tron GT die Grundlage für das Design zukünftiger
Elektro-Modelle.
Soweit das Exterieur. Aber wie lässt sich Effizienz in der Gestaltung des
Innenraums zum Ausdruck bringen?
Lichte: Mit der
Elektromobilität gewinnt der Innenraum an Leichtigkeit und Funktionalität - ein
Raumangebot wie im nächsthöheren Segment. Außen Kompakt, innen geräumig. Dem
e-tron GT haben wir deshalb eine skulpturale Grundarchitektur gegeben, die neben
der GT-typischen Sportlichkeit mit ihrer klaren Fahrerfokussierung auch die
Nachhaltigkeit betont. Das Showcar aus dem Jahr 2018 war hier das Vorbild für das
Serienmodell. Ein eigene Ausstattungslinie, die komplett ohne Leder auskommt und
stattdessen ganz bewusst auf recycelte Materialien setzt.
Ein sportlicher Gran Turismo, der sich über Effizienz und Nachhaltigkeit
positioniert. Ist das die neue Haltung, von der Sie gesprochen
haben?
Lichte: Das bringt es auf den Punkt.
Nachhaltigkeit fängt im Denken an und kommt durch das Design zum Ausdruck. Damit
forciert der e-tron GT einen Gedanken, der unser Verständnis von Luxus im Zuge der
Elektromobilität prägen wird.