Text: Patrick Morda ― Foto: Robert Fischer - Lesezeit: 6 min
Anforderungen zu analysieren und entsprechend Projekte zu priorisieren sind elementare Bestandteile in der Entwicklung digitaler Geschäftsfelder.
Anforderungen zu analysieren und entsprechend Projekte zu priorisieren sind elementare Bestandteile in der Entwicklung digitaler Geschäftsfelder.
Frau Maier, Herr Meiners, die Mobilität der Zukunft wird meist anhand der Antriebstechnologie diskutiert. Kommt Ihnen dabei das Thema Digitalisierung zu kurz? Boris Meiners: Diese Dinge lassen sich nicht trennen. Mit dem Schritt hin zu batterieelektrischen Fahrzeugen rückt auch die Anforderung an ein digitalisiertes Ökosystem rund um die Mobilität in den Mittelpunkt. Da hilft die Digitalisierung, indem sich Fahrzeug und Ladeinfrastruktur vernetzen und so im Navigationssystem freie Ladepunkte angezeigt werden können. In Deutschland lädt eine große Mehrheit derjenigen, die ein e-tron Modell kaufen, die myAudi-App, registrieren sich und koppeln die App mit ihrem Fahrzeug, um von unseren Services zu profitieren. Annegret Maier: Die Elektrifizierung verändert die Art, wie man fährt, aber man fährt immer noch mit einem Auto. Die wirkliche Herausforderung im Transformationsprozess, in dem sich die Mobilität befindet, ist die Verknüpfung von physischer und digitaler Welt. Erst die digitalen Services, die Kombination aus Fahrzeug und Ökosystem, bieten ein komplettes Erlebnis und sind ein relevanter Bestandteil der Mobilitätskette.
Bei der Frage nach der Entwicklung dieser Services und Funktionalitäten kommen dann Ihre Abteilungen ins Spiel. Boris Meiners: Ja, wir screenen zusammen mit den Märkten, wo ein Bedarf liegt und was unsere Kund_innen brauchen. Wir nehmen die Anforderungen auf, bewerten diese und stellen eine Priorisierung für deren Umsetzung auf. Dabei reden wir genauso über Evolutionen wie über eine Revolution. Diese Themen auf unterschiedlicher Flughöhe überhaupt vergleichbar zu machen und einzusortieren, ist eine riesige Herausforderung. Wir sind beide auch nicht diejenigen, die entscheiden. Dafür gibt es ein eigenes bereichsübergreifendes Gremium. Unsere Arbeit hat auch viel mit dem Management dieser Ideen und von Erwartungen zu tun. Annegret Maier: Wir sind für alle digitalen Themen die Brücke zwischen unseren zentralen Entwicklungsteams und den internationalen Märkten. Und das in beide Richtungen. Zudem schauen wir, wie gut die Services, die Features, die wir rausbringen, auf der Welt angenommen werden. Es geht immer auch darum, die richtige Idee zur richtigen Zeit umzusetzen.
„Es geht auch darum, wie bereitwillig persönliche Daten geteilt werden. Da gibt es im internationalen Vergleich große Unterschiede. In Deutschland ist man da verhältnismäßig kritisch.“ Annegret Maier
Annegret Maier hat als Director Market Relations & Performance Tracking for Digital Business die Wünsche der Märkte sowie der Kund_innen im Blick.
„Es geht auch darum, wie bereitwillig persönliche Daten geteilt werden. Da gibt es im internationalen Vergleich große Unterschiede. In Deutschland ist man da verhältnismäßig kritisch.“ Annegret Maier
Annegret Maier hat als Director Market Relations & Performance Tracking for Digital Business die Wünsche der Märkte sowie der Kund_innen im Blick.
Auf die Digitalisierung, diese Mischwelt aus on- und offline, muss man sich einlassen.
Um das greifbarer zu haben: Was muss man sich unter einer Evolution vorstellen? Annegret Maier: Da sprechen wir vor allem darüber, bestehende Funktionen kontinuierlich besser zu machen. Wir haben zum Beispiel die Art und Weise, wie wir die Zustimmung unserer Kund_innen zur Datenverarbeitung abfragen, überarbeitet. Das klingt zunächst einmal unspektakulär, aber die Einwilligung, der „Consent“, ist essenziell, um von unseren Services und Angeboten voll profitieren zu können. In Deutschland ist man bei diesen Themen viel sensibler als zum Beispiel in China.
Die Anforderungen sind global unterschiedlich? Boris Meiners: In China sind unsere Kund_innen mit Anfang dreißig im Schnitt deutlich jünger als in Europa. Dort herrscht schon ein ganz anderes Selbstverständnis, ist ein batterieelektrisches Fahrzeug praktisch gleichzusetzen mit einem digitalisierten, vernetzten Fahrzeug. Schon heute kann man in China, zum Beispiel an der Tankstelle oder in Parkhäusern, aus einem Audi heraus über Apps von Drittanbietern bezahlen – kontaktlos und ohne auszusteigen. Annegret Maier: Auf die Digitalisierung, diese Mischwelt aus on- und offline, muss man sich einlassen. Es geht auch darum, wie bereitwillig persönliche Daten geteilt werden. Da gibt es im internationalen Vergleich große Unterschiede. In Deutschland ist man da verhältnismäßig kritisch.
Man muss also vom Nutzen überzeugen? Annegret Maier: Was wir tun, dient keinem Selbstzweck, und es geht längst nicht nur darum, Newsletter per E-Mail zu versenden. Wir können maßgeschneidert über Services und Funktionen informieren, die Mehrwert bieten. In Zukunft können individuelle Informationen wie Fahrzeug- oder Sitzeinstellung, Radio- und Navigationsdaten bei Einwilligung gespeichert werden. Mit dem Wissen kann zum Beispiel die Gewöhnung an ein neues Fahrzeug erleichtert werden, weil man sich sofort wie zu Hause fühlen kann.
Boris Meiners war zuletzt für Audi mehrere Jahre in China. Heute leitet er die Abteilung Digital Business Portfolio and Program Management
Für Annegret Maier und Boris Meiners gilt: Ihre Arbeit hat viel mit dem Management von neuen Ideen und von aufkommenden Erwartungen zu tun.
Boris Meiners war zuletzt für Audi mehrere Jahre in China. Heute leitet er die Abteilung Digital Business Portfolio and Program Management
Für Annegret Maier und Boris Meiners gilt: Ihre Arbeit hat viel mit dem Management von neuen Ideen und von aufkommenden Erwartungen zu tun.
Schon heute wollen Kund_innen den gesamten Weg bis zum Kauf eines Fahrzeugs digitalisiert angeboten haben.
Wäre das dann schon eine Umsetzung der angesprochenen Revolution? Boris Meiners: Das, was wir intern „oneAudi“ nennen, wäre dafür ein besseres Beispiel. Dahinter verbirgt sich die Vision, alle Kontaktpunkte, die Kund_innen mit Audi im digitalen Raum haben können, zu harmonisieren und sie möglichst ohne Hürden „seamless“, also nahtlos, und auf die individuellen Bedürfnisse hin abgestimmt durch die Mobilitätswelt von Audi zu leiten. Annegret Maier: Im Grunde reden wir über etwas, das im Bereich des E-Commerce, beispielsweise bei großen Online-Versendern, schon etabliert ist: Man meldet sich auf einer Plattform an und kann sich dort sehr einfach durch die digitalen Inhalte und Angebote bewegen, die für einen relevant sind. Wenn man sich in Zukunft einmal in die Audi Welt einloggt – egal ob am heimischen PC, im Auto oder über einen Info-Bildschirm im Handel –, betritt man einen konsistenten digitalen Raum. Egal ob man nach einem neuen oder gebrauchten Fahrzeug oder einem Service sucht. Das ist für den Bereich Automobil noch sehr neu.
Studien sagen, dass sich der Autohandel bis 2030 zum echten Omnichannel-Geschäft entwickelt. Schafft man so also auch die Voraussetzung, in Zukunft Fahrzeuge nicht mehr nur im stationären Handel, sondern vermehrt online zu verkaufen? Boris Meiners: Auch der Autokauf wird seit einiger Zeit immer digitaler. Wir wissen, dass sehr viele Kund_innen schon heute den gesamten Weg bis zum Kauf eines Fahrzeugs digitalisiert angeboten haben wollen – inklusive verschiedener Bezahl- und Finanzierungsmöglichkeiten. In China geht zudem Ende des Jahres mit SAIC Audi unser zweites Joint Venture an den Markt. Alle Fahrzeuge werden in diesem Joint Venture nur noch im Omnichannel-Geschäft vertrieben. Annegret Maier: Das ist sehr realistisch. Ich glaube, es wird sogar schon deutlich früher als 2030 so weit sein. Wir sind aktuell in Europa in den ersten Märkten dabei, genau das aufzubauen und auszurollen – immer unter Einbezug des Handels. Es gibt dabei natürlich kulturelle und rechtliche Unterschiede zu beachten. Da geht es auch darum, welche Summen online überhaupt bereitwillig ausgegeben werden oder wie das Rückgaberecht geregelt ist.
Permanenter Austausch ist wichtig: Für Annegret Maier und Boris Meiners geht es immer darum, die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt zu haben.
„Hinter ,oneAudi‘ verbirgt sich die Vision, alle Kontaktpunkte, die Kund_innen mit Audi im digitalen Raum haben können, zu harmonisieren.“ Boris Meiners
Permanenter Austausch ist wichtig: Für Annegret Maier und Boris Meiners geht es immer darum, die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt zu haben.
„Hinter ,oneAudi‘ verbirgt sich die Vision, alle Kontaktpunkte, die Kund_innen mit Audi im digitalen Raum haben können, zu harmonisieren.“ Boris Meiners
Wie passt der stationäre Handel da noch ins zunehmend digitale Bild? Annegret Maier: Für Audi bleibt der Handel wichtig. Es gibt viele Menschen, die sich, egal wie digital die Welt wird, den Austausch mit einer Person, die Beratung am Fahrzeug, vor und nach dem Kauf, nicht nehmen lassen wollen. Es gibt Dinge, die sind digital gut und schneller und effizienter, aber es gibt Dinge, da kommt es immer auf den Menschen an, und das ist die größte Chance und Herausforderung in einem. Boris Meiners: Gleichzeitig hat uns die Corona-Pandemie aufgezeigt, wie relevant digitale Tools und Services wirklich sind. Der Wunsch nach Angeboten wie virtueller Kaufberatung oder Live-Chats hat sich massiv erhöht, was auch intern bei uns Prozesse enorm beschleunigt hat.
Wie weit blicken Sie in Ihrer Arbeit eigentlich in die Zukunft?Boris Meiners: Konkret auf die tägliche Arbeit bezogen macht es wenig Sinn, viel weiter als ein oder zwei Jahre nach vorn zu schauen. Das Tempo der Veränderung ist einfach zu hoch. Das macht es auch so herausfordernd, sich aktuell an die Fahrzeugentwicklung anzugleichen. Die Zyklen sind dort wesentlich länger und noch relativ unflexibel. Schaut man auf die neuen Konzeptfahrzeuge von Audi, zeigt sich aber deutlich, dass die Digitalisierung und die dadurch ermöglichten Services auf lange Sicht zum echten Alleinstellungsmerkmal, zum Differenziator werden können. Annegret Maier: Wir blicken gedanklich immer auch in eine Zukunft, in der man möglicherweise automatisiert fahren wird. Auch für diese Szenarien wollen wir ein digitales Ökosystem beschreiben. Solch ein Ökosystem wird sich vor allem um die Erlebnisse drehen, die Kund_innen mit der Marke Audi abseits des Fahrens haben können. Konzepte wie der Audi grandsphere concept1 zeigen, wie sich unsere Fahrzeuge zu „Experience Devices“ entwickeln und was eines Tages möglich werden kann.
Gerade in Zeiten der E-Mobilität spielt die Vernetzung von Fahrzeug und digitalem Ökosystem eine wichtige Rolle.
Bis 2030 soll sich aus dem klassischen stationären Automobilhandel ein Omnichannel-Geschäft entwickeln.
Gerade in Zeiten der E-Mobilität spielt die Vernetzung von Fahrzeug und digitalem Ökosystem eine wichtige Rolle.
Bis 2030 soll sich aus dem klassischen stationären Automobilhandel ein Omnichannel-Geschäft entwickeln.