Text: Bernd Zerelles – Foto: Piotr Kożuch – Lesezeit: 6 min
Bei dem gezeigten Fahrzeug handelt es sich um ein Konzeptfahrzeug, das nicht als Serienfahrzeug verfügbar ist.
Designer Bartos Scharmach im Interieur-Modell des Audi grandsphere concept2. Das Bedienelement des MMI touchless response ist in der Tür deutlich zu erkennen.
Designer Bartos Scharmach im Interieur-Modell des Audi grandsphere concept2. Das Bedienelement des MMI touchless response ist in der Tür deutlich zu erkennen.
Frau Sichwardt, Herr Scharmach: Was macht gutes User Interface Design aus? Bartos Scharmach: Es muss menschzentriert sein. Das bedeutet, dass sich nicht der Mensch an das Produkt, sondern das Produkt sich an den Menschen anpassen muss. Sie sagen dem Auto, was sie machen möchten, und das Auto bietet dafür dann eine Reihe von Optionen an.
Was bedeutet das konkret bezogen auf den Audi grandsphere concept1? Bartos Scharmach: Wenn sich der oder die Benutzer_in zum Beispiel entspannen möchte, sollte das Auto dieses Bedürfnis erfüllen und entsprechend reagieren. Aus diesem Grund haben wir die Benutzeroberfläche des Audi grandsphere1so gestaltet, dass es kein statisches, sondern ein kontextbezogenes Menü gibt. Wenn ich also sage, dass ich mich entspannen möchte, gibt mir das Auto beispielsweise die Möglichkeit, einen Film anzusehen oder entspannende Musik zu hören. Es schlägt mir aber auch vor, eine andere Route zu wählen, die mehr Landschaft bietet, was zusätzlich für Entspannung sorgen kann.
Anmutungen, Funktionen und Interaktionen, die in das Interieur des Konzeptfahrzeugs einfließen sollen, sind vorab am Reißbrett geplant.
Anmutungen, Funktionen und Interaktionen, die in das Interieur des Konzeptfahrzeugs einfließen sollen, sind vorab am Reißbrett geplant.
Unsere Aufgabe entwickelt sich von der Gestaltung eines fahrerorientierten Cockpits hin zu einem raumorientierten Design.
Für Designer Bartos Scharmach geht es immer darum, dass sich ein Produkt dem Menschen anpassen muss. Nicht umgekehrt.
Xenia Sichwardt hat bei ihrer Arbeit am Audi grandsphere1 nicht eine Fläche, sondern den gesamten Innenraum im Blick.
Für Designer Bartos Scharmach geht es immer darum, dass sich ein Produkt dem Menschen anpassen muss. Nicht umgekehrt.
Xenia Sichwardt hat bei ihrer Arbeit am Audi grandsphere1 nicht eine Fläche, sondern den gesamten Innenraum im Blick.
Der Audi grandsphere concept2 ist für ein Höchstmaß an Komfort, konzipiert. Wirkt sich das auch auf das User Interface aus? Xenia Sichwardt: Wenn es um das Thema User Interface (UI) und User Experience (UX) geht, dann werden immer Smartphone-Hersteller als Beispiel herangezogen. Das Besondere bei unserer UI und UX ist, dass wir nicht auf eine Fläche beschränkt sind, wie es bei einem Smartphone der Fall ist. Uns eröffnen sich neue Gestaltungsmöglichkeiten im Innenraum. Das ist extrem spannend, denn wir können so Material, Architektur und Interface-Design verschmelzen lassen. Bartos Scharmach: Der Audi grandsphere2 ist für eine Zukunft konzipiert, in der automatisiertes Fahren2 möglich ist. Wir als Designer_innen müssen neue Wege finden, Erlebnisse abseits des Fahrens zu bieten. Unsere Aufgabe entwickelt sich von der Gestaltung eines fahrerorientierten Cockpits hin zu einem raumorientierten Design. Alles im Auto, die Seiten, das Dach, der Boden, steht auf einmal im Fokus. Man kann das so zusammenfassen: Bei einem Fahrzeug wie dem Audi grandsphere, das in Zukunft möglicherweise automatisiert fahren kann, können wir Interieurs noch stärker als Lebensraum mit individueller Gestaltungsfreiheit für Nutzer_innen verstehen und planen.
Die Türen des Audi grandsphere2 öffnen gegenläufig und ermöglichen einen großzügigen Einstieg in das Fahrzeug.
Die Türen des Audi grandsphere2 öffnen gegenläufig und ermöglichen einen großzügigen Einstieg in das Fahrzeug.
Projektionen ermöglichen es also, das gesamte Interieur für das Erlebnis der Insass_innen zu nutzen? Bartos Scharmach: Der Audi grandsphere2 verfügt über kein klassisches Armaturenbrett mehr. Steigt man in das Auto ein, sieht man keine inaktiven Displays, keine schwarzen, toten Flächen, wie wir sie gern nennen. Rechteckige Displays sind sehr einschränkend, da sie uns als Designer_innen vorschreiben, wo die Schnittstellen zu integrieren sind. Gleichzeitig signalisieren sie den Nutzenden, dass hier, und nur hier, die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine ist. Indem wir mit Projektionen arbeiten, die wir auf die Oberfläche – in diesem Fall auf Holz – der Innenraumarchitektur spielen, sind wir nicht mehr an Bildschirme gebunden. Wir projizieren auf bestimmte Bereiche der vorhandenen Oberfläche und können diese Bereiche je nach Situation vergrößern oder verkleinern. So schaffen wir einen lebendigen Innenraum. Und schaltet man die Projektionen aus, entstehen keine leeren Rahmen.
Xenia Sichwardt: Das “Frameless Design”, sich also nicht einzuschränken auf eine Fläche, die an einer bestimmten Position verankert ist, war uns sehr wichtig. Es geht darum, die Freiheit zu haben, Informationen dort zu zeigen, wo man möchte, wo User_innen sie tatsächlich brauchen. Das bedeutet First-Class-Reisen in diesem Zusammenhang: Die Bedürfnisse der Reisenden stehen an erster Stelle.
Wie bindet man Materialität in ein User Interface ein? Xenia Sichwardt: Unser Ausgangspunkt war die Frage: Wie wäre es, gar keine Displays mehr im Fahrzeug zu haben, und stattdessen mit möglichst viel natürlichen Materialien wie Holz zu arbeiten? So ein Stück Holz ist einzigartig. Und für uns als UI Designer_innen ist es auch sehr spannend, diese neue Art von Darstellung zu erforschen. Was passiert eigentlich, wenn wir Projektionen und natürliche Materialien verbinden? Was ist das für eine Art von Interface? Wir sind alle Glasflächen von Bildschirmen gewohnt. Projektionen auf Holz sind eine neue Richtung. Letztendlich sind wir Menschen natürlichen Materialien zugetan und fühlen uns wohl, wenn wir von Natur umgeben sind.
Im Audi grandsphere concept1 werden keine Displays mehr bespielt, sondern Informationen bei Bedarf auf die Materialien im Innenraum projiziert.
Im Audi grandsphere concept1 werden keine Displays mehr bespielt, sondern Informationen bei Bedarf auf die Materialien im Innenraum projiziert.
Frameless Design, sich nicht auf eine Fläche an einer bestimmten Position einzuschränken, war beim Audi grandsphere concept¹ sehr wichtig.
Holz, als natürlicher Werkstoff, sorgt im Interieur eines Fahrzeugs für eine angenehme Wohlfühl-Atmosphäre.
Wie sich Projektionen auf Holz verhalten, war eine der Fragen, die sich die Designer_innen stellen mussten.
Holz, als natürlicher Werkstoff, sorgt im Interieur eines Fahrzeugs für eine angenehme Wohlfühl-Atmosphäre.
Wie sich Projektionen auf Holz verhalten, war eine der Fragen, die sich die Designer_innen stellen mussten.
In den Türen des Audi grandsphere1 befindet sich ein spezieller Drehknopf. Was hat es mit ihm auf sich? Bartos Scharmach: Das ist ein innovatives Bedienelement, über das man im aktiven Fahrbetrieb per Drehring und Tasten diverse Funktionsmenüs anwählen kann. Sobald man aber im automatisierten Fahrmodus2 die Kontrolle an das Fahrzeug abgibt, lassen sich die Sitze in eine sehr bequeme Position zurückfahren. Dann können die Bedienelemente in den Türen außer Reichweite geraten. Die Lösung ist das MMI touchless response, eine Kombination aus Eye-Tracking und Gestensteuerung. Nimmt man Blickkontakt auf, kann man dieselbe Geste, die man zum Drehen mit den Fingern am Instrument nutzen würde, ausführen. Man berührt es nicht, kann aber sehen, dass sich der Bedienring als Reaktion auf die Geste trotzdem dreht.
Mit zurückgefahrenen Sitzen kann Bartos Scharmach das MMI touchless response bequem durch Blickkontakt und Gesten bedienen.
Mit zurückgefahrenen Sitzen kann Bartos Scharmach das MMI touchless response bequem durch Blickkontakt und Gesten bedienen.
Die Formensprache beim Exterieur-Design eines Audi erkennt man sofort. Was ist das Spezielle beim User Interface Design von Audi? Xenia Sichwardt: Wir lassen uns von anderen Kulturen inspirieren. Und besonders bei diesem Projekt haben wir uns traditionelle japanische Malerei angeschaut. Dort gibt es ein Gestaltungsprinzip, das besagt: „Die Leere umarmt das Bild“. Diese Herangehensweise an Gestaltung fanden wir sehr inspirierend. Wir füllen also das Bild nicht mit Informationen, sondern wir geben den Informationen Raum und Leichtigkeit, damit sie, reduziert auf das Wesentliche, an Bedeutung gewinnen. Bei Audi streben wir immer Schlichtheit an, die gleichzeitig elegant ist. Um es mit Dieter Rams zu sagen: „Less but better“.