Text: Bernd Zerelles − Fotos: Robert Fischer − Film: graupause − Lesezeit: 9 min
RS e-tron GT: Stromverbrauch kombiniert2: 19,8–22,1 kWh/100 km (WLTP); CO2-Emissionen kombiniert2: 0 g/km (WLTP) Für das Fahrzeug liegen nur Verbrauchs- und Emissionswerte nach WLTP und nicht nach NEFZ vor.
Im Audi Aeroakustik-Windkanal werden Windgeschwindigkeiten von bis zu 300 km/h erzeugt. Nur wenn die Strömung präzise am Fahrzeug ankommt, werden exakte Messergebnisse ermittelt.
Im Audi Aeroakustik-Windkanal werden Windgeschwindigkeiten von bis zu 300 km/h erzeugt. Nur wenn die Strömung präzise am Fahrzeug ankommt, werden exakte Messergebnisse ermittelt.
Beim Blick auf die Gebläsegondel des Audi Aeroakustik-Windkanals fällt als Erstes dieser Spalt auf, der zwischen jeder der Blattspitzen der 20 Schaufeln des Windkanalrotors und der Betoneinfassung besteht. Mangelnde Präzision, die Energie verschenkt? Dr. Moni Islam, Leiter Entwicklung Aerodynamik/Aeroakustik Audi, gibt Entwarnung: „Bei einer maximalen Antriebsleistung der Turbine von 2.720 kW verlängern sich die Schaufeln aus beschichtetem Aluminium aufgrund der Fliehkraft, sodass sich dieser Spalt nahezu schließt.“
Dann müssen alle Personen den Windkanal räumen. Schließlich wird hier die Kraft erzeugt, die am zu messenden Fahrzeug eine Windgeschwindigkeit von bis zu 300 km/h ergibt. Die 20 Laufschaufeln der Fünf-Meter-Gebläse setzen sich langsam schwingend in Bewegung. Die rotierte Luftbewegung wird durch die 27 Leitschaufeln des dahinterliegenden Stators zum ersten Mal stabilisiert. Es folgen zwei Richtungswechsel im Windkanal, die die Luft durch speziell konstruierte Umlenkschaufeln gleichmäßig verteilen. Gitter nach den Schaufeln zerhäckseln die großen Luftwirbel erneut, die unvermeidbar entstehen. Anschließend wird die Luft durch eine Wabengitter-Schicht gleichgerichtet, in der darauffolgenden großen Kammer beruhigt – und dann um den Faktor 5,5 durch die Düse beschleunigt, ehe mit der exakt gewünschten Geschwindigkeit auf den Audi RS e-tron GT1 trifft.
Speziell konstruierte Umlenkschaufeln verteilen die Luft möglichst gleichmäßig bei Richtungswechseln im Windkanal.
Thomas Redenbach ist Leiter Entwicklung Aerodynamik/Aeroakustik Fahrzeugprojekte bei Audi.
Speziell konstruierte Umlenkschaufeln verteilen die Luft möglichst gleichmäßig bei Richtungswechseln im Windkanal.
Thomas Redenbach ist Leiter Entwicklung Aerodynamik/Aeroakustik Fahrzeugprojekte bei Audi.
Der Audi RS e-tron GT1 auf dem Prüfstand: Mit jedem Tausendstel Verbesserung des cw-Werts kann Potenzial bei der Reichweite gehoben werden.
Der Audi RS e-tron GT1 auf dem Prüfstand: Mit jedem Tausendstel Verbesserung des cw-Werts kann Potenzial bei der Reichweite gehoben werden.
Der Audi RS e-tron GT1 steht auf einer Präzisionswaage, welche die aerodynamischen Kräfte am Fahrzeug misst. Die Räder des Fahrzeugs liegen auf vier Mini-Laufbändern, die dafür sorgen, dass sie sich drehen. Ein breites Laufband unter dem Auto simuliert die Bewegung der Fahrbahn relativ zum Fahrzeug. Zusätzlich wird durch fein justierbare Lochbleche im Boden vor dem Fahrzeug ein Teil der Strömung – die sogenannte Grenzschicht – abgesaugt, bevor sie am Auto ankommt. Die Aerodynamiker_innen nennen diese Konstruktion „volle Bodensimulation“. Sie garantiert eine realistische Umströmung des Fahrzeugs.
Der Vorgang ist genauso aufwendig wie er sich anhört.
Dr. Kentaro Zens, verantwortlicher Aerodynamiker des Audi RS e-tron GT1, am besonders strömungsgünstigen Unterboden des Sportwagens.
Dr. Kentaro Zens und Thomas Redenbach diskutieren die Messwerte. Hinter der Scheibe steht der Audi RS e-tron GT1 im sogenannten Plenum des Windkanals.
Dr. Kentaro Zens, verantwortlicher Aerodynamiker des Audi RS e-tron GT1, am besonders strömungsgünstigen Unterboden des Sportwagens.
Dr. Kentaro Zens und Thomas Redenbach diskutieren die Messwerte. Hinter der Scheibe steht der Audi RS e-tron GT1 im sogenannten Plenum des Windkanals.
Dr. Kentaro Zens, verantwortlicher Entwicklungsingenieur für die Aerodynamik und Aeroakustik des Audi RS e-tron GT1: „Auf der Straße bewegt sich das Fahrzeug durch die Luft. Hier im Windkanal ist es genau umgekehrt: Das Fahrzeug steht, und wir bewegen die Luft möglichst gleichmäßig darum herum. Wir betreiben großen Aufwand. Nur wenn die Strömung präzise am Fahrzeug ankommt, ermitteln wir exakte Messergebnisse, denen wir vertrauen können.“
Zens sitzt an seinem Arbeitsplatz neben dem Steuerpult, an dem die Operatoren den Windkanal regeln. An Bildschirmen kann er alle relevanten Daten ablesen: Wie ist der cW-Wert, wie hoch der Vorderachsauftrieb, wie der Hinterachsauftrieb, bei welcher Wind- und welcher Laufbandgeschwindigkeit? Neben ihm steht Thomas Redenbach, Leiter Entwicklung Aerodynamik/Aeroakustik Fahrzeugprojekte: „Als das Windkanal-Zentrum in Betrieb genommen wurde, war dies der erste Pkw-Windkanal weltweit, der die Bodensimulation der realen Bedingungen der Straße für die Aerodynamik mit einer so extrem leisen Aeroakustik-Funktionalität kombinierte.“
Heute läuft der Windkanal sechs Tage pro Woche im Zweischichtbetrieb von 7 bis 22.30 Uhr. Als die Zulassung nach WLTP-Vorgabe gesetzlich eingeführt wurde, war sogar Volllast angesagt. Moni Islam: „Die Komplexität dieses Windkanals erforderte den vollen Einsatz und die technische Expertise unserer Schwesterabteilung, die Tag für Tag seit vielen Jahren den Windkanal für uns betreibt. Unsere Kolleg_innen vom Windkanalbetrieb stellten uns Entwickler_innen damals 23 Stunden Messzeit am Tag zur Verfügung. Denn die WLTP-Werte müssen wir dem Gesetzgeber mit zertifizierten Windkanal-Messungen nachweisen.“
Jedes Tausendstel Verbesserung des cw-Werts hebt Potenziale bei der Reichweite.
Dr. Moni Islam ist Leiter Entwicklung Aerodynamik/Aeroakustik bei Audi. Hier erklärt er die Funktionsweise der aktiven Antischall-Anlage des Windkanals.
Dr. Moni Islam ist Leiter Entwicklung Aerodynamik/Aeroakustik bei Audi. Hier erklärt er die Funktionsweise der aktiven Antischall-Anlage des Windkanals.
Der Rauch zeigt an, wie sich die Strömung nach dem Außenspiegel des Audi RS e-tron GT1 verhält.
Am Arbeitsplatz haben die Aerodynamiker_innen jederzeit Zugriff auf die wichtigsten Fahrzeug- und Windkanaldaten.
Der Rauch zeigt an, wie sich die Strömung nach dem Außenspiegel des Audi RS e-tron GT1 verhält.
Am Arbeitsplatz haben die Aerodynamiker_innen jederzeit Zugriff auf die wichtigsten Fahrzeug- und Windkanaldaten.
Dennoch spielen auch in der Aerodynamikentwicklung Computersimulationen eine immer größere Rolle. Die CFD-Simulation (Computational Fluid Dynamics, deutsch: Numerische Strömungsmechanik) bildet Strömung rechnerisch nach und ermöglicht Analyse und Visualisierung der Strömungsverläufe. Warum also noch die aufwendige und teure Arbeit im Windkanal? Thomas Redenbach: „Der Windkanal ist unser alltägliches Werkzeug, auch um die Ergebnisse aus der Simulation abzusichern. Wir wollen die Simulationen immer weiter entwickeln. Um sie valide und repräsentativ zu machen, müssen wir die Berechnungen überprüfen.“
Doch die Simulationen am Computer werden immer besser und immer wichtiger. Kentaro Zens: „Beim Audi RS e-tron GT1 haben wir ungewöhnlich viel simuliert, über neun Millionen CPU-Stunden. Im Windkanal war ich mit dem Fahrzeug 150 Stunden. Das ist sehr wenig.” Zum Vergleich: Beim Audi R8 waren es 600 Stunden. Das zeigt nicht nur die Güte der Form, die das Design des Audi RS e-tron GT1 mit sich bringt. Sondern auch, dass der Entwicklungsprozess stark verkürzt war – ein Weg, den Audi bei zukünftigen Modellen auch anstrebt.
Moni Islam fügt hinzu: „Windkanal und CFD sind zwei sich ergänzende Werkzeuge der Aerodynamik. Der Windkanal ist sehr genau und schnell und ermöglicht uns daher ein sehr effizientes Arbeiten im dynamischen Entwicklungsprozess. Die Simulation liefert uns eine unglaubliche Fülle an Informationen, jedoch erfordert sie Aufwand in der Vorbereitung und Ergebnisanalyse. Mit nur einem dieser beiden Werkzeuge wäre moderne Aerodynamik-Entwicklung nicht möglich.“
Für die letzten 20 Prozent der Aerodynamik investieren wir enorm viel Zeit.
Bei Elektrofahrzeugen wie dem Audi RS e-tron GT1 ist das Gesamt-Package für die Aerodynamik zwar förderlich (schon aufgrund des geschlossenen Unterbodens). Aber die Herausforderungen an die 31 Mitarbeitenden der aerodynamischen Fahrzeugentwicklung in der Abteilung von Moni Islam steigen. „Wir heben mit jedem Tausendstel Verbesserung des cW-Werts Potenziale bei der Reichweite“, definiert Moni Islam den Anspruch.
Potenziale am Fahrzeug erkennen die Aerodynamiker_innen mit Simulationsergebnissen, die Sensitivitäten darstellen: Wenn ich die Geometrie an der Stelle X der Form geringfügig verändere, wie stark beeinflusst das die Strömung? Und dann beginnt das, was Islam folgendermaßen beschreibt: „Aerodynamik ist auch akribische Detektivarbeit, denn man sieht die Luft ja nicht. Man muss versuchen, anhand der Werte, die die Waage im Windkanal angibt, das Problem über eine analytische Vorgehensweise einzugrenzen.“
Dazu arbeiten die Ingenieur_innen auch mit unterschiedlichen Anbauteilen im Rapid-Prototyping-Verfahren. Zuerst werden CAD-Konstruktionen erstellt, um die Geometrien der Bauteile, zum Beispiel eines Lufteinlasses an der Frontschürze, zu definieren. Dann setzen die Kolleg_innen vom Modellmanagement die gewünschten Varianten, es können drei, vier, fünf sein, mithilfe dieser fortschrittlichen Technik in ein Versuchsbauteil um. Anschließend werden die unterschiedlichen Varianten der Bauteile am Fahrzeugmodell der Reihe nach durchgetestet. Die Messungen geben dann cW- und Auftriebswerte wieder. Diese Ergebnisse werden punktuell auch mit den CFD-Simulationen der exakt gleichen Konfiguration verglichen, um schließlich zu reproduzierbaren Simulationsergebnissen zu führen.
Für Analysen und Umbauten während der Windkanalarbeit kann das Fahrzeug auf der Waage angehoben werden.
Unscheinbar, aber effektiv: So eine Kunststofflippe am Unterboden leitet die Strömung gezielt effizient.
Für Analysen und Umbauten während der Windkanalarbeit kann das Fahrzeug auf der Waage angehoben werden.
Unscheinbar, aber effektiv: So eine Kunststofflippe am Unterboden leitet die Strömung gezielt effizient.
„Für 80 Prozent der Aerodynamik eines Fahrzeugs braucht es 20 Prozent der Zeit. Aber für die letzten 20 Prozent – an vielen, vielen kleinen Stellen die Tausendstel der Optimierungen herausarbeiten – investieren wir enorm viel Zeit“, schildert auch Thomas Redenbach die Detektivarbeit im Windkanal. „Nur durch diesen hohen Einsatz mit viel Liebe zum Detail können wir Spitzenergebnisse produzieren.“
Was war für den aerodynamisch Verantwortlichen des Audi RS e-tron GT1 von der Strömung gesehen das schwierigste Detail bei diesem Gran Turismo? Kentaro Zens überlegt eine Weile. „Die Frontschürze mit vier ineinandergreifenden Bauteilen. Denn die Luft strömt in die Einlässe hinein, die Jalousie im Inneren schließt – aber dann entsteht auch das Problem. Die Luft fließt irgendwohin. Und das will man nicht. Hier die Kontrolle über die Luftführung zu behalten und diese präzise abzustimmen, ist die entscheidende Feinarbeit. Eine enorme Teamleistung, denn die Kolleg_innen aus Fahrzeugsicherheit, Konstruktion, Produktion und Montage müssen mit mir an einem Strang ziehen.“
Besonders hinweisen möchte Zens noch auf die Gestaltung der sogenannten Air Curtains im Zusammenspiel mit dem Radhaus: „Die enge Abstimmung mit den Audi Designer_innen im wöchentlichen Rhythmus hat dazu geführt, dass der Übergang von der Frontpartie zur Seite um den Air Curtain nicht nur aerodynamisch optimal ist, sondern auch als ein stimmiges Thema in der Gesamtgestaltung aufgeht. Alles am Audi RS e-tron GT1 hat eine Funktion und einen Sinn. Das ist authentische Funktionalität, die mir an dem Fahrzeug unheimlich gefällt.“
Mit der sogenannten Rauchlanze lässt sich die Luftströmung sichtbar machen. Hier zeigt sie den optimalen Weg der Strömung durch den Air Curtain zum Radhaus.
Mit der sogenannten Rauchlanze lässt sich die Luftströmung sichtbar machen. Hier zeigt sie den optimalen Weg der Strömung durch den Air Curtain zum Radhaus.
Aerodynamik versucht Design zu ermöglichen.
Und noch ein weiteres Beispiel liegt ihm am Herzen: die in die Rückleuchte integrierte Kante. „Gerade am sehr dreidimensionalen Heck des Audi RS e-tron GT1 gibt es viele Wirbelsysteme. Die Strömung sauber um die stark gekrümmten Flächen zu leiten, ist eine Herausforderung. In der Simulation sahen wir, dass es an der Rückleuchte noch Verbesserungspotenzial gab.“
Bei dieser Windkanalmessung war glücklicherweise auch César Muntada, Leiter Lichtdesign bei Audi, anwesend. Er modellierte kurzerhand selbst am Clay-Modell einen leichten Außenknick mit Gegenschlag in die Rückleuchte, die heute genau so am Serienfahrzeug verbaut ist. Mit diesem leichten Knick erreichen Designer_innen und Aerodynamiker_innen gemeinsam, dass die Strömung definiert am Heck abreißt, anstatt mit Verwirbelungen nach innen zu ziehen (was den cW-Wert maßgeblich verschlechtern würde). „Wir versuchen in der Aerodynamik Design zu ermöglichen“, schildert Kentaro Zens diese Zusammenarbeit. Und dafür braucht es eben auch: penible Detektivarbeit im Windkanal.
Der Heckspoiler des Audi RS e-tron GT1 kann drei verschiedene Positionen einnehmen – für effektive Strömungssteuerung in jedem Fahrzustand.
Die Rotorturbine des Windkanals hat eine Leistung von bis zu 2.720 kW.
Der Heckspoiler des Audi RS e-tron GT1 kann drei verschiedene Positionen einnehmen – für effektive Strömungssteuerung in jedem Fahrzustand.
Die Rotorturbine des Windkanals hat eine Leistung von bis zu 2.720 kW.